© Henry Göhlich

KolumneKielMeeresschutz

MEERESLEUCHTEN
Mit Neugier und Mut: Jugendliche erkunden die verborgene Unterwasserwelt vor Kiel

 

Die Initiative „Snorkeling.City“ bietet nicht nur einen Sprung ins kalte Wasser, sondern auch die Chance, eine unbekannte Welt zu entdecken und eigene Grenzen zu überwinden.

„Wunderbar, es ist einfach wunderbar!“ Ich bin mit einer Frau ins Gespräch gekommen, die an diesem Sommermorgen neben mir schwimmt. Sie lacht, dann dreht sie ab für eine weitere Runde. Heute beginnt für mich ein außergewöhnlicher Tag, denn ich wurde von der Initiative „Snorkeling.City“ eingeladen. Bevor eine Gruppe Kieler Jugendlicher das Schnorcheln kennenlernt und selbst die Unterwasserwelt entdecken kann, hat mich Kursleiter Henry Göhlich in der Seebar empfangen. Routiniert kündigt er an: „Wir sammeln erstmal Tiere.“ Ich treibe in einem Neoprenanzug neben dem Steg und versuche, hinter Henry her zu navigieren. Unter mir öffnet sich der Blick auf den Meeresboden und Krabben kreuzen drohend meinen Weg. Henry hat schnell Exemplare unterschiedlicher Arten gekeschert und in das mobile Aquarium auf dem Steg bugsiert. Fröhlich steigt die Schwimmerin aus dem Wasser und inspiziert den Inhalt des Aquariums.

„Die besonderen Gäste rechts herum.“ 

Um kurz vor 9 Uhr steht eine quirlige Schülergruppe bereits vor dem großen weißen Tor, über dem in gelben Lettern „Seebad Düsternbrook“ steht. Henry holt die Jugendlichen vom Steg ab und sagt: „Erst die Stammgäste hier links herum.“ Er winkt die Schwimmenden um die Kurve und richtet sich dann an die Schülergruppe:

„Und die besonderen Gäste rechts herum.“ Die Seebar wird heute bereits am Morgen von vielen Schwimmenden besucht, die erfreut über die Jugendlichen und das Bildungsangebot zu sein scheinen. Ein Schwimmender fragt, ob es das Angebot auch in den Ferien geben werde, es sei auch interessant für seine Enkel.

Auf dem überdachten Steg der Seebadeanstalt angekommen, heißt Henry die Jugendlichen willkommen und berichtet, dass sie die letzte Klasse dieser Saison sind, die am Schnorchel-Workshop teilnehmen kann. An diesem Tag ist außerdem ein Fernsehteam des NDR dabei, das Filmaufnahmen für einen Beitrag über die Förderung der Initiative „Snorkeling City” durch die BINGO! - Umweltlotterie macht. Henry beschreibt den Ablauf des Workshops. Die Jugendlichen werden das Schnorcheln in Theorie und Praxis kennenlernen und dabei die Unterwasserwelt vor der Kieler Kiellinie mit ihren typischen Pflanzen- und Tierarten erkunden.

Erfahrungsgemäß sind danach viele richtig platt, weshalb nach dem Sprung ins Wasser nicht mehr viel stattfindet. „Es ist überhaupt kein Problem, ein mulmiges Gefühl und Respekt vor dem neuen Medium Meer zu haben, denn wir sind Landtiere,“ beruhigt der Kursleiter, „Wir wissen zwar viel über die Meere, aber um zu merken, welche Schätze in dieser Ostsee schlummern, müssen wir eintauchen.“ Den Jugendlichen ist die Neugier anzusehen.

© Michael Sswat

Für die eine Gruppe beginnt der Workshop mit Theorie. „Die Ostsee ist ein besonderes Meer. Sie ist sehr jung, nur 8.000 Jahre, und heute ist sie vergleichsweise süß, besteht aus Brackwasser.“ An einer Grafik veranschaulicht Henry den Salzgehalt, der in dem Binnenmeer Richtung Osten immer weiter abnimmt. Ein Schüler fragt, ob ganz im Norden kein Salz mehr enthalten sei. „Doch, da ist noch etwas Salz drin. Schätzt mal, wieviel Gramm Salz in einem Liter Ostseewasser hier in der Kieler Förde enthalten sind.“ Die Schätzungen kommen prompt. 100 Gramm, 80 Gramm, 20 Gramm. „Ungefähr 15 Gramm pro Liter,“ er holt eine Petrischale mit abgewogenem Salz hervor. „In der Nordsee ist es viel mehr, 35 Gramm.“ Die Schüler wollen gerne kosten. Das Team vermischt es mit Leitungswasser, rührt kräftig um. Auf die Handrücken bekommen die Teilnehmenden ein paar Tropfen zum Probieren. Die ersten verziehen ihr Gesicht: „Oh, es schmeckt so furchtbar.“ „Ihh!“, während eine Teilnehmerin noch mehr möchte: „Mir schmeckt es eigentlich.“ „Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit kosten wir den Nordseesalzgehalt heute nicht, das macht Ihr bitte zuhause mit Euren Eltern.“

„Guckt mal, andere, kleine Algen wachsen auch darauf. Das sind Moostierchen, fühlt sich etwas an wie Sandpapier und hat kleine Ärmchen. Schaut Euch das da hinten mal im Mikroskop an.“ 

Henry Göhlich

Die Gruppe guckt sich die Pflanzen und Tiere an, die sie beim Schnorcheln wahrscheinlich gleich sehen wird. Zuerst eine Alge, der Blasentang. „Was ist das Besondere?“ fragt der Kursleiter. Eine Schülerin weiß es: „Sie steht im Wasser. Damit kommt sie an das Sonnenlicht.“ „Richtig, das ist wie im Garten. Für die Photosynthese. Die Alge ist so im Vorteil, sie kann sich nach oben ausbreiten und bekommt mehr Licht.“ Eine Schülerin zeigt auf eine Garnele. Henry sagt, diese zeige eine weitere wichtige Eigenschaft der Alge, denn sie sei auch Lebensraum für andere. „Guckt mal, andere, kleine Algen wachsen auch darauf. Das sind Moostierchen, fühlt sich etwas an wie Sandpapier und hat kleine Ärmchen. Schaut Euch das da hinten mal im Mikroskop an.“ Er zeigt auf die Mikroskope, die an der Seite bereitstehen. „Die Alge ist also wie eine Art 3D-Struktur, wie ein Baum, auf den man sich setzen kann.“ „Wann stirbt sie?“, fragt eine Schülerin. „Manchmal werden sie abgerissen, zum Beispiel nach Stürmen oder sie sterben, wenn die Temperatur zu kalt wird oder zu wenig Licht da ist, im Winter. Ja, aber das ist eine gute Frage. Diese Algen hier kommen nachher wieder ins Wasser und leben dort weiter.“ Henry beschreibt die drei großen Gruppen der Algen, Grünalgen (brauchen viel Licht), Rotalgen (kommen dort vor, wo wenig Licht ist) und Braunalgen und zeigt jeweils Beispiele. Auch das Seegras, dessen Vorfahren an Land gelebt und sich das Meer in im Laufe der Evolution erobert haben.

„Und wer schafft es, die Krabbe aus dem Wasser zu holen?“ Schüler David fasst sie gekonnt mit zwei Fingern von oben und unten an und hebt sie an. „Es ist ein Männchen“, erklärt Henry. „Bei einem Weibchen wäre der Hinterleib runder und breiter, weil sich die Eier darunter befinden. Es gibt eine Sollbruchstelle am hinteren Teil des Panzers, weil die Krabbe irgendwann ihre Schale abwirft. Wie eine Schlange, die sich häutet, wenn sie größer wird. Während dieser Zeit versteckt sich die Krabbe im Seegras.“ Henry zeigt die Seegraswiese rund um die Seebar auf einer Karte.

© Henry Göhlich

„Da könnt Ihr gucken, ob Ihr Schweinswale spottet,“ Amelie deutet fördeauswärts durch ein Fenster in der weißen Holzwand, „wäre eine sweete Sichtung.“

„Bei Eutrophierung klingelt was bei Euch?“ fragt Teammitglied Amelie Muntschick währenddessen auf der Pier. „Ja, den hab ich mal gemalt, den Kreislauf, oder war es ein Prozess?“ fragt eine Schülerin die nächste. Die zweite Gruppe ist mittendrin in der Einführung in das Equipment, das vom BUND Umwelthaus in Neustadt zur Verfügung gestellt wird, mit anschließender Materialausgabe. „Da könnt Ihr gucken, ob Ihr Schweinswale spottet,“ Amelie deutet fördeauswärts durch ein Fenster in der weißen Holzwand, „wäre eine sweete Sichtung.“ Amelie gibt eine jugendlichengerechte technische Einweisung. „Mit den Anzügen könnt Ihr floaten wie ein Seeotter. Und zu den Masken: Alle haben verschiedene Gesichts- und Kopfformen, die Dichtungslippe der Maske muss gut aufliegen. Manchmal erschweren Haare und Augenbrauen die Sichtung und Wasser kann eindringen.“ Die Schüler*innen sollen sich in Zweierteams aufteilen. „Der Buddy checkt die Maske,“ weist Amelie an. „Ich habe mal geschnorchelt und musste mich ganz schön konzentrieren, nur mit dem Mund zu atmen,“ erzählt eine Schülerin.

Ja, kann beim Schnorcheln eigentlich etwas passieren? „Nicht viel, aber genug, dass einige Teilnehmenden an ihre Grenzen stoßen“, erläutert Henry. Angst vor Quallen, Bedenken wegen der Wellen, eine unbekannte Situation, doch die meisten Jugendlichen stellen sich ihren Grenzen und wachsen mit der Teilnahme am Schnorchelworkshop dann auch ein bisschen über sich hinaus. Ein toller Nebeneffekt des kurzen Lehrgangs!

Und dann gehen sie ins Wasser und tauchen ab.

Ermöglicht wird Initiative „Snorkeling.City“ in diesem Jahr durch den Verein Pro Ocean und die Förderung durch die BINGO! Umweltlotterie. Die Schnorchelausrüstungen werden vom BUND-Umwelthaus in Neustadt, dem BUND SH und der Tourismusagentur Lübecker Bucht zur Verfügung gestellt. Die Koordination und Projektleitung hat Dr. Henry Göhlich, Meeresbiologe am GEOMAR, ehrenamtlich übernommen, unterstützt durch eine Vielzahl regionaler Partner wie dem Team vom Ocean Summit, der Heinrich-Böll-Stiftung SH, Kiel Marketing, dem Arbeiter-Samariter-Bund SH sowie dem Tauchlehrer Kjell Wassermann.

KSC Logo
Dr. Jana Koerth

Dr. Jana Koerth

... ist Referentin für Meeresschutz bei der Landeshauptstadt Kiel. Sie ist besonders interessiert an den vielfältigen Interaktionen zwischen Meer und Mensch. Hier zeigt sie Augenblicke dieser Interaktionen. 

 

Website:

Meeresschutzstadt Kiel

© Dr. Jana Koerth
Artikelrechte erwerben