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Interview mit Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer
„Besuche uns in Kiel und lass uns gemeinsam überlegen, was wir zum Schutz der Meere tun können.“

 

Kurz vor dem Start des The Ocean Race Europe in Kiel sprachen wir mit dem Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer über Teamspirit an Bord und Sichtbarkeit in der Welt, Shackletons Führungskunst und Manövrieren in politischen Gewässern, Segeln und Meeresschutz – und warum zu viel Breitbeinigkeit bei einer Olympiabewerbung schwierig sein kann.

Dr. Ul Kämpfer

Dr. Ul Kämpfer

Oberbürgermeister Kiel

Kiel ist als „Sailing City“ bekannt und hat eine enge Verbindung zum Segeln. Was können Städte vom Segelsport lernen?

Nun, wir haben den Leitspruch „Kiel.Sailing.City” nicht ohne Grund gewählt. Wir sind die einzige deutsche Großstadt am Meer. Wir haben eine Segeltradition mit Olympia, der Kieler Woche und vielen anderen hochrangigen Veranstaltungen wie jetzt dem Ocean Race Europe. Aber wir wollen auch immer etwas anderes transportieren. Denn Segeln ist eine Lebenshaltung: sich im Team zu bewähren. Ich schaffe etwas in einer Gemeinschaft und habe eine große Freude dabei. Für diese Lebensqualität steht Kiel.Sailing.City.

Es ist also viel mehr als nur „Sailing“?

Wir sind nicht nur eine Segelstadt, die Seglerinnen und Seglern die Voraussetzungen bietet, um erfolgreich zu sein, und die das Segeln so attraktiv macht. Wir wollen das auch als Stadt leben, das ist die andere Seite. Wir haben den Anspruch, dass es hier nicht nur traditionelle Windjammerparaden gibt oder dass wir auf zwei Olympiaden zurückblicken können, sondern dass wir immer auf der Höhe der Zeit bleiben wollen – nicht nur beim Segeln. In diesem Bereich tut sich natürlich unglaublich viel, zum Beispiel mit dem Foilen, durch das die Boote heute sprichwörtlich übers Wasser fliegen. Der Segelsport wird rasanter und technischer. Er erreicht neue Zielgruppen, und dafür müssen wir uns immer wieder anstrengen, auch wenn wir noch einmal Olympia wollen. Wir müssen uns immer wieder bewähren und dazulernen.

So modern das Segeln auch geworden ist, die traditionelle Seemannschaft ist nach wie vor an Bord präsent. Teamwork, gemeinsam an einem Strang ziehen. Was kann man aus dieser Seemannschaft lernen, sei es im Job, sei es privat?

Ich habe einmal das Buch „Shackletons Führungskunst“ gelesen. Für viele ist Segeln Beruf und Berufung, es kann wunderschön sein. Aber wenn man den Elementen ausgesetzt ist, kann das sehr gefährlich und tödlich sein. Als Oberbürgermeister bin ich nicht nur für die schönen Dinge, sondern auch für die Daseinsvorsorge zuständig. Ich muss sowohl Corona-Krisen als auch Flüchtlingsbewegungen oder die Auswirkungen eines Ukrainekrieges meistern. Da kann es an Bord sehr ernst und existenziell werden.

Malizia

Die Malizia Seaexplorer beim The Ocean Race Flyby 2023 auf der Kieler Förde 

Sie genießen nicht nur das Dahingleiten, sondern sind auch fürs Kochen an Bord zuständig …

(lacht) … auch das. Genau das ist beim Segeln ja so wichtig: dass man füreinander da ist und sich aufeinander verlassen kann. Man muss nicht nur „gut gewählt“ sein, sondern auch kompetent, gerade in einer Krisensituation, wenn das Wetter umschlägt oder man eine Havarie erleidet. Dann gibt es keine Fehlertoleranz mehr. Die See verzeiht vielleicht vieles, aber nicht alles. Das ist, glaube ich, für die Politik, die den Menschen ein sicheres Leben gewährleisten soll, eine sehr gute Erkenntnis. Es reicht nicht, nur Schönwetterpolitiker oder Schönwetterkapitän zu sein.

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„Der Meeresschutz, der Klimaschutz, der Schutz der Natur sind ganz wichtige Botschaften. Es ist wichtig, die Kostbarkeit und Zerbrechlichkeit der Meere zu betonen.“

Ulf Kämpfer

Segeln bedeutet auch immer, unterwegs zu sein, neue Städte, neue Länder zu erreichen. Das Motto des Ocean Race Europe ist „Connecting Europe“. Die Teams werden sieben europäische Häfen anlaufen und in Montenegro ins Ziel einlaufen. Welche Wünsche geben Sie den Crews vor diesem Hintergrund mit an Bord?

Zunächst einmal steht der Segelsport im Vordergrund. Es ist ein spektakuläres Rennen, bei dem ich jedem Team den verdienten Erfolg und gleichzeitig viel Spaß wünsche. Das gehört beides zusammen. Ich bin auch leidenschaftlicher Sportler und brauche den Wettkampf. Natürlich will ich gewinnen, aber wenn es nicht klappt, ist das nicht wertlos, sondern immer noch Teil des Erlebnisses, sich zu messen und Freude am Sport zu haben. Beides sollten sich die Teams bewahren.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Schutz der Meere. Wie es auf Boris Herrmanns Segel steht: A race we must win. Der Meeresschutz, der Klimaschutz, der Schutz der Natur sind ganz wichtige Botschaften. Es ist wichtig, die Kostbarkeit und Zerbrechlichkeit der Meere zu betonen.

Natürlich hat „Connecting Europe“ auch eine politische Dimension. Wie entwickelt sich Europa in sich und in der Welt? Wir leben in einer sehr unruhigen Zeit. Dafür müssen wir nicht nur auf die Flüchtlingsboote im Mittelmeer oder Tsunamis schauen. Europa ringt derzeit um seinen Zusammenhalt. Und eine Regatta, die um Europa kreist, zeigt uns, wofür Europa eigentlich steht. Wir haben etwas Gemeinsames, das über unsere Geografie hinausgeht, nämlich die Idee von Europa. In einer Zeit, in der das nicht mehr selbstverständlich ist, ist es auch wichtig, das zu feiern.

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Der Spaß steht an erster Stelle, und von Boris Herrmann, Rosalin Kuiper und anderen Teams weiß ich, dass sie sich besonders darüber freuen, ausgerechnet in Kiel zu starten. Boris Herrmann hat mit seiner Initiative für den Meeresschutz in Kooperation mit dem GEOMAR und SubCtech schon vor Jahren das OceanPack entwickelt. Das Gerät nimmt täglich über 20.000 Wasserproben an Bord, deren Ergebnisse der Wissenschaft wichtige Erkenntnisse liefern. Wie genau wird diese enge Verbindung von Meer und Meeresschutz in Kiel gelebt?

In Kiel verfügen wir traditionell über eine große wissenschaftliche Kompetenz. Wir haben das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung und eine starke Universität. Zudem gibt es neben SubCtech viele weitere Unternehmen in diesem Bereich, wie das Institut für Maritime Energiesysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, das hier moderne und emissionsfreie Schiffsantriebe entwickelt. 
Unser Hafen ist möglicherweise weltweit führend bei Landstrom- und Abwasserbehandlungsanlagen und auf dem besten Weg, klimaneutral zu werden. Ich glaube, wir sind die einzige Kommune in Deutschland, die eine Meeresschutz-Referentin hat. Wir waren die erste deutsche Stadt, die sich zur Meeresschutz-Stadt erklärt hat. Wir haben Förderfonds aufgelegt. Wir feiern den Tag der Meere und Ozeane und unterstützen das privat finanzierte Cinemare Meeresfestival. Boris Herrmann war ein starker Impulsgeber, der das Segeln mit der Verantwortung für die Meere verbunden hat. Das haben wir gerne aufgegriffen.

OceanPack

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„Beim Klimaschutz sehen wir uns gerade einem Rollback gegenüber, und von Kiel soll die Botschaft ausgehen: Wir müssen etwas tun. Wir müssen es schnell und entschlossen tun.“

Ulf Kämpfer

Viele dieser Initiativen werden sicherlich beim Summit des „The Ocean Race Europe“ vorgestellt, an dem Sie neben zahlreichen anderen Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft – national wie international – teilnehmen werden. Der Summit wird einen enormen medialen Einfluss haben, der weit über die Region Kiel hinausreicht. Was werden die Menschen da draußen über Kiel lernen?

Zunächst werden sie Kiel auf dem Schirm bekommen. Natürlich kennen die Seglerinnen und Segler auf der ganzen Welt Kiel, wir sind eine tolle Stadt am Meer, aber wir sind ja nicht der Nabel der Welt. Daher ist es schön, wenn wir mit unseren Werten und Themen noch bekannter werden. Es ist mir wichtig, dass das Segeln in Kiel unser Identitätsanker ist. Aber die Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Meeresschutz stehen inzwischen gleichrangig daneben. Es gibt einen engen Zusammenhang: Segeln in toten Meeren, wie es in weiten Teilen der Ostsee der Fall ist, Extremwetterereignisse, der Meerespegelanstieg oder Sturmfluten, all das lässt sich nicht vom Segeln trennen. Viele Seglerinnen und Segler haben das mittlerweile begriffen. Aber die Gesellschaft als solche hat das noch nicht in Gänze erreicht. Beim Klimaschutz sehen wir uns gerade einem Rollback gegenüber, und von Kiel soll die Botschaft ausgehen: Wir müssen etwas tun. Wir müssen es schnell und entschlossen tun.

Man muss das nicht miesepetrig tun, man darf trotzdem Freude am Leben und am Segeln haben. Das ist kein Widerspruch. Aber es sollte eben nicht unter den Tisch fallen. Wir können den Segelsport nicht mehr unbeschwert genießen, ohne wahrzunehmen, dass es im Bereich des Meeres- und Klimaschutzes viele Probleme gibt. Dafür ist der Summit ein starkes Signal.

Sealevel

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Der Summit ist international ausgerichtet, aber Kiel hat mit dem „Sealevel“ in der Holstenstraße auch nahbare Initiativen für die Kielerinnen und Kieler zum Meeresschutz. Wie können wir den Kielern diese schwierigen Themen noch näherbringen?

Wie schon gesagt, wir leben in unruhigen Zeiten, in denen viele Menschen mit ihrem Alltag und ihren eigenen Sorgen sehr beschäftigt sind. Ich kann jeden verstehen, der nicht von sich aus sagt: „So, jetzt recherchiere ich mal im Internet oder gehe auf eine Fachveranstaltung zum Meeresschutz oder Klimaschutz.“ Trotzdem möchten wir die Menschen erreichen. Genau das ist die Idee hinter dem Sealevel und der noch größeren Idee eines digitalen Meereszentrums für Kiel. Wir wollen nicht nur die schon Überzeugten erreichen, sondern auf spielerische Weise ernste Themen und Wissen vermitteln. Wir wollen eine Sensibilität für Klima- und Meeresschutz entwickeln. Das gelingt uns bereits bei vielen Menschen sowie bei Kitas und Schulklassen, die das Sealevel besuchen. Unser Ziel ist es, dass die Menschen ein bisschen bewusster und schlauer nach Hause gehen. Wenn sie das nächste Mal vor einer eigenen Entscheidung stehen, hat das vielleicht eine Wirkung: „Entscheide ich mich für etwas, das dem Klima- und Meeresschutz dient, oder ignoriere ich das?“ Das wäre ein gesellschaftlicher Wandel. Meine Grundidee ist nach wie vor, ein Meereszentrum zu schaffen, das jährlich von 250.000 Menschen, insbesondere jungen Leuten, besucht wird. Wir haben zudem eine Million Kreuzfahrttouristen in der Stadt …

… das Zentrum hätte einen Leuchtturm-Effekt, der international sichtbar wäre. Die „Kreuzfahrer“ könnten einen entsprechenden Beitrag leisten …

… genau, das Meereszentrum wäre nur 500 Meter von den Anlegern entfernt. Sie sind in Urlaubsstimmung und können etwas Faszinierendes über die Meere erfahren, das sie dann in die Welt tragen. Damit die Meere weiterhin so wertvoll und wunderschön bleiben, wie sie es in Teilen ja heute noch sind.

Auch Olympia hat eine enorme Ausstrahlung für die gastgebenden Städte. Der Werbe-Satz „Kiel kann Olympia“ klingt etwas zurückhaltend. Als hätte jemand infrage gestellt, dass Kiel es kann.

Nun, wir müssen in Deutschland in puncto Olympiabewerbungen ein bisschen demütig sein. Wir haben es jetzt sieben Mal erfolglos probiert, aber ich glaube, es ist wieder Zeit für eine ambitionierte und professionelle deutsche Bewerbung. Andererseits können wir in Kiel sehr selbstbewusst sein. Zwar haben wir in Schilksee ein Olympiazentrum, dessen Bausubstanz stammt aber im Kern noch aus dem Jahr 1972. Mit Rostock und Warnemünde haben wir da ernstzunehmende Mitbewerber. Bei der letzten Olympiabewerbung zusammen mit Hamburg haben wir im Nachhinein übrigens das Feedback bekommen, dass wir etwas zu breitbeinig aufgetreten sind.

Es ist wahrscheinlich ein schmaler Grat zwischen norddeutschem Understatement auf der einen Seite und etwas zu viel Seemannsgarn und Breitbeinigkeit auf der anderen Seite.

Arroganz wäre die falsche Einstellung. Ich denke, wir können mit zurückhaltend norddeutschem Selbstbewusstsein auf das verweisen, was wir Jahr für Jahr mit der Kieler Woche auf die Beine stellen oder mit dem Ocean Race und vielen anderen hochklassigen Weltmeisterschaften und Segelereignissen. Damit können wir punkten, da muss man dann gar nicht noch so auf die Pauke hauen. Das spricht einfach für sich.

„Da erinnert uns eine sportliche Veranstaltung wie das Ocean Race Europe daran, wie wichtig der Wert des Teamgeists ist. Und das nicht nur in der Region. Am Ende sind wir als Menschheit eine Schicksalsgemeinschaft.“

Ulf Kämpfer

Und es passt zum Motto, unter dem in Kiel das Ocean Race Europe startet: „Wir segeln alle im selben Boot.“ In Kiel leben rund 250.000 Menschen mit ebenso vielen Wünschen und Bedürfnissen. Steht gerade Kiel dafür, dass alle Menschen „im selben Boot segeln“?

Das ist eine Herausforderung, die wir mal besser und mal schlechter meistern. Ich glaube aber, dass wir in Kiel, obwohl wir keine reiche Stadt sind, insgesamt zusammenhalten und dass es gerade unsere Unterschiedlichkeit ist, die uns zusammenhält. Wir sehen gerade in vielen westlichen Demokratien ein Auseinanderdriften. Da erinnert uns eine sportliche Veranstaltung wie das Ocean Race Europe daran, wie wichtig der Wert des Teamgeists ist. Und das nicht nur in der Region. Am Ende sind wir als Menschheit eine Schicksalsgemeinschaft. Und was könnte dies besser zum Ausdruck bringen als die gemeinsame Herausforderung, die Meere und das Klima zu schützen?

Wir segeln alle im selben Boot.

Sie sind seit 2014 Oberbürgermeister der Stadt Kiel und Ihre Amtszeit neigt sich dem Ende zu. Wenn Sie heute eine Flaschenpost in die Kieler Förde werfen würden, die irgendwann, irgendwo von irgendjemandem gefunden wird, welche Botschaft würde auf dem Zettel stehen?

Ich würde eine Einladung aussprechen: „Dass du diese Botschaft gefunden hast, zeigt unsere Verbundenheit. Besuche uns in Kiel und lass uns gemeinsam überlegen, was wir zum Schutz der Meere tun können.“

© Kiel-Marketing GmbH – Interview: Ralf Löwe / sonofasailor.de
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