© Daniell Bohnhof
Interview mit Michael Walther, Umweltaktivist und Extremsportler
„Wir müssen jetzt handeln, Paddelschlag für Paddelschlag.“
Michael Walther verbindet mit seinem ZERO EMISSIONS Projekt Meeres- und Klimaschutz mit extremen Wassersportaktionen. Er paddelte mit seinem SUP von Basel nach Kiel und in der Disco Bay vor Grönland, als nächstes geht es sechseinhalbtausend Kilometer ohne Begleitboot über den Atlantik. Wir sprachen mit ihm darüber, wie man Klimaschutz cool macht, wie wichtig mentale Stärke ist und warum er nicht Anwalt wurde.
Michael Walther
Umweltaktivist und Extremsportler
Das Zero Emissions Projekt wurde 2008 gegründet, um den Klimaschutz weiter in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu rücken.
www.zeroemissions.eu
Kiel-Marketing: Klimaschutz, Müllvermeidung, Emissionsreduzierung, das sind deine Themen. Was denkst du, wenn jemand in einem Café einen Coffee to go mit Pappbecher und Plastikdeckel bestellt?
Michael Walther: Ach, ich bin da gar nicht so mega kontra. Ganz ehrlich, ich bin total froh, dass die EU zum Beispiel Plastikstrohhalme verboten hat und dass Coffee-to-go-Becher damit auch ein wenig geächtet sind. Vor zehn Jahren war ich in Alicante beim Volvo Ocean Race [der damalige Name des heutigen „The Ocean Race“], das sich damals als nachhaltig nannte und auch schon viel in diese Richtung gemacht hatte. Aber dann gab es zum Beispiel im Pressebereich nur Coffee-to-go-Becher. So was nervt mich halt, wenn es einfach nicht authentisch ist. Auf der anderen Seite muss man sehen: Das sind Symbole, und nur weil ich nie wieder in meinem Leben einen Coffee-to-go-Becher nehme, werde ich die Welt nicht retten.
Manchmal helfen ja Symbole. Aber für viele Menschen ist es heute eine wahnsinnige Herausforderung, weil die notwendigen Anstrengungen im Klimaschutz so vielfältig sind. Mit Zero Emissions* hast du dein Betätigungsfeld gefunden. Wie kam es zur Gründung und was genau macht ihr da?
Ich interessiere mich seit meiner Kindheit für Umwelt- und Naturthemen. Schon auf Norderney, wo ich aufgewachsen bin, habe ich das „Green Team“ gegründet, eine Jugendorganisation von Greenpeace. Aber das Thema Umweltschutz kommt jetzt nicht, wie viele vermuten, aus reiner Umweltbegeisterung. Die ist natürlich auch da, aber ich habe gemerkt, dass mich das Thema Gerechtigkeit eigentlich viel mehr anfrisst. Naturschutz hat ganz, ganz viel mit Gerechtigkeit zu tun, Gerechtigkeit gegenüber zukünftigen Generationen.
Gerechtigkeit, Recht – du hast Jura studiert …
... genau. Und deswegen passt mein Jurastudium auch so gut ins System. Viele wundern sich, dass ich nicht Meeresbiologie oder Ozeanographie oder so studiert habe. Aber eigentlich ist es schlüssiger, als es auf den ersten Blick scheint. Das Projekt „Zero Emissions“ ist zusammen mit Thomas Reinke 2008 entstanden. Wir fanden es total schön, zu segeln, aber irgendwie hat uns damals beschäftigt, dass der Klimaschutz und die herannahende Klimakrise doch erstaunlich wenige Menschen bewegt. Wir haben versucht, Klimaschutz cool zu machen, ihn aus dieser reinen Öko-Ecke, aus diesem Wollsocken-Image herauszuholen. Klimaschutz muss die Menschen erreichen, er darf kein Nischenthema sein. Segeln ist dafür grundsätzlich ein gutes, wenn auch sehr abstraktes Instrument. Und weil ich nicht nur die Menschen in und um die Segelstadt Kiel erreichen möchte, bin ich zum Paddeln gekommen.
„Ich hatte Kontakt zu Greenpeace, die waren mir damals zu groß.“
Michael Walther
Du entwickelst dich ständig weiter. Das Unternehmen The Ocean Race hat sich übrigens auch weiterentwickelt mit einer sehr engen Verknüpfung der Themen High Performance Sport und Meeresschutz. Darum freuen wir uns ja auch so, dass das Ocean Race Europe 2025 in der Meeresschutzstadt Kiel starten wird.
Das finde ich spannend, denn da sprichst du einen guten Punkt an! Es ist immer eine Frage, wann man welche Person oder Organisation in ihrer Entwicklung betrachtet. Denn wir alle entwickeln uns. Mittlerweile würde ich auch sagen, dass das Ocean Race definitiv einer der engagiertesten und authentischsten Wassersportveranstalter ist. Bei mir war die Entwicklung einfacher: Meine Mutter arbeitet seit 45 Jahren im Weltladen, mein Vater ist jetzt 76 und bringt immer noch Flüchtlingen Deutsch bei. Ich musste also eigentlich nicht aus meiner Blase ausbrechen.
Warum hast du dich nicht einfach Fridays for Future, Greenpeace oder Sea Shepherds angeschlossen, also anderen Organisationen, die es schon gab?
Ich unterstütze die, wo es nur geht. Tatsächlich war das 2008 noch nicht so ein Thema. Sea Shepherd ist natürlich eine Meeresschutzorganisation, auch zum Teil mit ziemlich rustikalen Mitteln, die ich zum Teil sehr gut finde, zum Teil vielleicht auch ein bisschen grenzwertig. Ich hatte Kontakt zu Greenpeace, die waren mir damals zu groß. Da hatte ich nicht das Gefühl, Selbstwirksamkeit entwickeln zu können, obwohl der Weg vielleicht sinnvoller gewesen wäre und ich gerade durch die Größe mehr hätte erreichen können. Es gab damals wenige Projekte, die das Thema cooler, greifbarer, irgendwie ein bisschen spannender machen wollten.
Eine gewisse Resilienz braucht man sicherlich. Du hast einmal gesagt, es sei mehr eine Frage des Wollens als des Könnens. Wie motivierst du dich immer wieder, den inneren Schweinehund zu überwinden?
Wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht: Ganz ehrlich, ich struggle zum Teil ganz gewaltig damit. Es gibt wirklich Tage, da denke ich mir, Mensch Micha, du machst dir das Leben auch verflucht schwer. Du könntest auch wie ganz viele andere dich einfach nur hinsetzen im Supermarkt das kaufen, worauf du gerade Bock hast. Ich kaufe keine exotischen Früchte, ich kaufe regional, ich versuche möglichst wenig Auto zu fahren und wenn, dann ein Elektroauto. Ich versuche so wenig wie möglich zu fliegen, wenn es sich nicht vermeiden lässt, okay, dann mit einem schlechten Gefühl. Mit kommt immer wieder dieses Zitat von Luisa Neubauer in den Kopf: Hoffnung muss man sich erarbeiten. Oder man trifft Menschen wie diesen Walforscher auf Island, der sagt: Wenn du dich für Meeres- und Klimaschutz interessierst, bist du nicht allein. Es gibt Millionen. Wir als Gemeinschaft können was bewegen, wenn wir es wollen.
„Du stehst dann irgendwann auf dem Board und denkst, meine Hand fühlt sich ein bisschen taub an, aber das ist wirklich zu 90 Prozent Kopfsache.“
Michael Walther
Wenn man unterwegs ist, sei es vor Grönland oder wenn man 1.300 Kilometer von Basel nach Kiel paddelt: Was ist anstrengender, das Körperliche oder das Mentale, das Durchhalten?
Beim Stand-Up-Paddling ist es nahezu ausschließlich mental. Ich würde mal behaupten, 50 Prozent der Leute könnten locker einmal quer durch Deutschland paddeln. Du stehst dann irgendwann auf dem Board und denkst, meine Hand fühlt sich ein bisschen taub an, aber das ist wirklich zu 90 Prozent Kopfsache. Man liest in irgendwelchen Motivationsbüchern, dass negative Gedanken einen runterziehen. Das klingt nach Küchenpsychologie, aber es ist wirklich erschreckend, wie viel das mit dem Kopf zu tun hat. Ich habe auch schon andere Touren gemacht, auch mit dem Wingboard von Kiel nach Langeland. Wenn du da bei 35 Knoten Wind mitten auf der Ostsee im Wellental sitzt und denkst, so ein Mist, ich hab echt keinen Bock mehr, dann merkst du relativ schnell, wie dich das runterzieht, wie die Kraft aus den Armen und Beinen rausgeht.
Nimmst du diese Learnings aus dem Sport auch mit in den Alltag?
Ja, klar. Man lernt, dass man viel mehr kann, als man denkt. Dieses Wissen hilft einem ganz, ganz viel im Alltag, wenn man zum Beispiel eine wichtige Veranstaltung vorbereitet. Ich arbeite viel für die BOOT Düsseldorf und da kommt man immer ein bisschen an seine Grenzen, sei es mental oder körperlich. Aber dann weiß man, da ist noch Luft nach oben. Viele unterschätzen, zu was sie eigentlich in der Lage sind.
Wie nehmen andere eigentlich deine Aktionen wahr?
Viele trauen sich viel zu wenig zu. Ich habe auch Motivationstiefs und finde mich dann abends bei Netflix auf dem Sofa wieder, aber letztlich ist es immer eine Frage, wie man seiner Leidenschaft folgt. Hätte ich mehr Geld verdienen wollen, wäre ich wahrscheinlich Jurist geworden. Dann hätte ich jetzt vielleicht ein Magengeschwür, aber einen Porsche vor der Tür. Das sind alles Dinge, gegen die ich mich aktiv entschieden habe. Ich finde es einfach traumhaft, zehn, zwölf Stunden alleine auf dem Paddelboard zu stehen und mir über ganz viele Dinge Gedanken zu machen.
Nimmst du die Natur dann auch anders wahr? Ich kann mir vorstellen, wenn du alleine vor so einem großen Eisberg paddelst, hat das noch mal eine ganz andere Dimension, als wenn zig andere Leute dabei sind.
Total. Aber leider muss ich die Romantik ein bisschen zerstören. Wenn ich in Grönland vor Gletschern paddle oder vor Island fünf Meter neben Buckelwalen, dann sind das ganz wunderbare Erlebnisse. Aber natürlich mache ich das auch, weil ich dann ein Kamerateam und Fotografen dabei habe. Und natürlich geht einem dabei durch den Kopf: „Passt der Winkel? Hat der Kameramann das Bild gut drauf? Muss ich noch ein bisschen weiter nach links oder rechts? Das sind leider Dinge, die ehrlich gesagt solche Momente komplett zerstören.
Wenn du ein Team dabei hast, dann weil du etwas mitteilen möchtest. Greenpeace ist ja auch so gestartet, dass sie aufrüttelnde Bilder veröffentlicht haben, wie sie zwischen Walfangboot und Wal manövriert haben. Das waren diese ikonischen Bilder, die Greenpeace so erfolgreich gemacht haben.
Witzigerweise habe ich auch diese Bilder von Walfangschiffen mit Schlauchbooten immer noch vor Augen, wenn ich an Greenpeace denke. Letztens in Island habe ich im Hafen von Reykjavik zwei alte Walfangschiffe gesehen und mir lief ein Schauer über den Rücken, das ist das Feindbild meiner Jugend! Total krass, wie sich das eingebrannt hat. Echt irre. Also das hat offensichtlich gut funktioniert, diese Art der Kommunikation.
„Ich bin eher derjenige, der goldene Brücken baut und versucht, mit allen im Gespräch zu bleiben.“
Michael Walther
Greenpeace macht heute natürlich viel mehr Aktionen, es gibt eine große Zahl von Aktivistinnen und Aktivisten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit. Sind so große Organisationen im Bereich Klimaschutz aus deiner Sicht noch zeitgemäß?
Klar, so große Organisationen arbeiten auf der einen Seite nicht mehr so effizient. Auf der anderen Seite kann eine große Bandbreite an Fachgebieten abgedeckt werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass die NGOs sich vielleicht einfach mehr wie ein Konzern organisieren sollten, wir brauchen eigentlich alle Facetten dieser Umweltorganisationen, von Greenpeace bis zur letzten Generation, von Sea Shepherd bis Zero Emission. Eine Organisation wie Greenpeace ist vielleicht groß und hat einen großen Verwaltungsapparat. Aber wir brauchen sie in der Lobbyarbeit. Geht in den Bundestag. Ich glaube, wir müssen mit allen reden, um irgendwie voranzukommen. Ich habe mal gesagt: Wenn Nestlé bei mir anruft, gehe ich nicht ran. Aber ehrlich gesagt, wenn Nestlé sagen würde: „Wir wollen uns jetzt wirklich verändern, jetzt muss es losgehen“, wer wäre ich, denen das zu verweigern. Ich bin eher derjenige, der goldene Brücken baut und versucht, mit allen im Gespräch zu bleiben.
„Ich bin der erste Mensch, der einmal direkt über den Atlantik von Kontinent zu Kontinent paddelt.“
Michael Walther
Apropos Brücken. Du planst du eine Atlantiküberquerung mit dem SUP?
Ja, sechseinhalbtausend Kilometer mit einem Stand Up Board von Portugal nach Südamerika über den Atlantik. Die nächste Klimakonferenz findet ja in Belém im Norden Brasiliens statt. Vielleicht kann ich den Damen und Herren, wenn ich dort ankomme, mal so richtig in den Arsch treten.
Ich bin der erste Mensch, der einmal direkt über den Atlantik von Kontinent zu Kontinent paddelt. Beim Board habe ich mich stark an Offshore-Ruderbooten orientiert, ich habe einen Meerwasserentsalzer an Bord, einen zweiten, falls der erste ausfällt, ein Solarsystem, Sicherheitselektronik, AIS [AIS-Empfänger empfangen über UKW die AIS-Signale der umliegenden Schiffe und dienen der Kollisionsvermeidung], Satellitenkommunikation. Ich habe gefriergetrocknete Lebensmittel dabei, das heißt, ich kann nicht verhungern, ich kann nicht verdursten, ich werde wahrscheinlich auch nicht erfrieren. Also diese drei Faktoren, die das Meer an sich gefährlich machen, abgesehen vom Ertrinken, sind ausgeschlossen.
Trotzdem eine große Wasserwüste ...
Da ist natürlich die mentale Stärke noch mehr gefragt. Das ist ja auch das, was mich an dem Projekt am meisten reizt. Dieses Mentale, zweieinhalb, drei Monate alleine auf dem Atlantik zu sein, das ist, glaube ich, die größte Herausforderung. Darauf freue ich mich sehr. Ich bin gespannt, wie ich selber darauf reagiere, bin aber guten Mutes, dass ich das ganz gut weggesteckt bekomme.
Hast du keine Angst?
Nee, Wenn man so ein Projekt ein bisschen durchdacht angeht, kann man sehr viele Risiken minimieren. Ich bin von der Sicherheitsausrüstung ähnlich ausgestattet wie Boris Herrmann auf seiner Seaexplorer und habe den großen Vorteil, dass ich nicht mit 35 Knoten durch die Nacht segle, sondern ich paddele mit drei, vier Knoten über den Atlantik, auch nachts. Aber ich will das gar nicht kleinreden. Es ist definitiv eine Herausforderung, es bleiben auch Dinge, die schwer planbar sind.
Unser Gespräch begann mit dem Coffee-to-go-Becher. Die Vermüllung der Meere ist ein großes Problem, in den Ozeanen gibt es die Great Garbage Patches. Wäre es eine Idee, einmal dorthin zu paddeln, um darauf aufmerksam zu machen?
Ich glaube, beim Thema Plastikmüll in Meeren weiß mittlerweile jeder, dass das ein Problem ist. Bei den vielen Negativnachrichten stelle ich aber bei mir selbst fest, dass ich abschalte. Ich denke oft „Boah, schon wieder so eine Moralkeule“. Das finde ich sehr, sehr schwierig. Was ich den Leuten mit dieser Atlantiküberquerung eigentlich zeigen will, ist, dass wir endlich den Arsch hochkriegen und handeln müssen, Paddelschlag für Paddelschlag – aber wir müssen jetzt loslegen.
Über Michael Walther:
Mit seinem ZERO EMISSIONS Projekt verbindet Michael Walther seit mehr als 16 Jahren Meeres- und Klimaschutz mit extremen Wassersportaktionen. Auf diese Weise möchte er Menschen motivieren, für den erhalt unserer Lebensgrundlage zu kämpfen und sich für den Erhalt der Natur einzusetzen. Walther wurde für dieses Engagement bereits durch die UNESCO ausgezeichnet.
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